Das erste Fließband gab es bei Henry Ford – Massenproduktion von Autos und Hass (2024)

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Von: Arno Widmann

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Das erste Fließband gab es bei Henry Ford – Massenproduktion von Autos und Hass (1)

Vor 110 Jahren installierte Henry Ford sein erstes Fließband.

Vor fünfzig Jahren sagte ein Soziologieprofessor zu mir, dem enthusiastischen Sozialisten: „Es ist ganz gleich, welches politische System Sie anstreben, der private Pkw wird sich seine Gesellschaft schaffen.“ Ich muss gestehen, das leuchtete mir ein. Inzwischen weiß ich, dass „Gesellschaften“ zutreffender gewesen wäre. Die Verbindung des PC mit dem World Wide Web ist wieder so eine technische Innovation, die sich ihre eigenen Gesellschaften schafft. Am Anfang rechneten viele damit, das werde zu einer weltweiten Demokratisierung führen. Ein naheliegender, aber, wie wir inzwischen wissen, falscher Gedanke. Der Irrtum von damals erinnert an den, den Antonio Gramsci beging, als er vom Faschismus sprach als einem „morbiden Phänomen“, wie es in Zeiten auftrete, in denen das Alte habe schon weichen müssen, das Neue aber noch nicht stark genug sei. Das Neue, mit dem er rechnete, war der Sozialismus. In Wahrheit aber war der Faschismus das Neue. Und den Sozialismus, wie Gramsci ihn sich vorstellte, gab es auch hundert Jahre später noch nicht.

Die Moderne ist ein Produkt Henry Fords. Der 11. Dezember 1913 ist eines der Daten, an denen er das Fließband in seinem Automobilwerk eingeführt haben soll. Das wirkliche Datum ist der 14. Januar 1914. Damals nämlich stand das Fließband nicht mehr in einer alten Fabrikhalle, sondern in einer neuen, die ganz nach den Erfordernissen der Fließbandarbeit erbaut worden war. Das Prinzip, dass nicht die Arbeiter zum Werkstück gingen, sondern es ihnen zugeführt wurde, war in Schlachthöfen bereits gängige Praxis. In der Automobilindustrie war es neu. Ein Auto ist eine deutlich schwerer zu handhabende Angelegenheit als tote Rinder oder Schweine. Aber es ging. Und wie es ging! Die Produktion schnellte in bis dahin unbekannte Höhen. Der Preis für Fords Modell T – sein einziges Produkt – sank von 850 auf 370 US-Dollar. Es gab ihn nur in Schwarz. Schwarz trocknete am schnellsten. Die Konkurrenz – General Motors etwa – bot eine Palette verschiedener Fahrzeuge an, aber noch das billigste war weit teurer als Fords Modell T.

Um das Fließband herum war eine Fabrik gebaut worden, um das Auto herum entstand eine neue Gesellschaft. 1899 hatte der amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen seine „Theory of the Leisure Class“ veröffentlicht. Es gab also eine Klasse, die sich den Müßiggang leisten konnte, während die anderen arbeiten gingen. Henry Ford hatte im selben Jahr seine Detroit Automobile Company gegründet. Sein Bild von Amerika sah anders aus. Er stellte sich vor, dass jeder, der arbeitete, auch Freizeit haben müsse.

In der er dann mit seinem Modell T hinfahren könne, wohin immer er wolle. Einer Anekdote zufolge legte die Werbeabteilung Henry Ford den Slogan vor: „Kauf einen Ford und spare die Differenz“ (zu anderen, teureren Autos). Ford nahm einen Stift, strich das „sparen“ aus und setzte „ausgeben“ an dessen Stelle. Ein emblematischer Vorgang. Henry Ford markiert so den Abschied des Kapitalismus von der protestantischen Ethik, deren Verhältnis Max Weber gerade mal zehn Jahre zuvor analysiert hatte. Henry Ford wusste sehr genau, was er tat. Oder tun ließ. Es gab nichts in der Produktion und nichts in der Vermarktung, keine Zeile in der Werbung – Ford kontrollierte jeden Schritt seines Produktes. Er war auf einer Farm geboren worden. Er wusste, was die Bauern brauchten. Das Straßennetz war noch nicht autogerecht. Modell T musste einiges an Unebenheiten vertragen. Außerdem: Wer sein Auto kaufte, bekam eine Gebrauchsanweisung, die es ihm ermöglichte, eventuelle Reparaturen selbst zu machen.

Ford wusste sehr genau um die Machtverhältnisse in vielen Familien. Also wandte sich seine Werbeabteilung nicht nur an die motorbegeisterten Männer, sondern schaltete auch Anzeigen, die die Frauen als Käuferinnen oder doch wesentliche Mitentscheiderinnen ansprachen. Das Modell T ermöglichte auch ihnen eine bisher ungekannte Mobilität. Beruflich, aber auch in der Freizeit.

Ford erhöhte die Löhne seiner Arbeiter. Er sah sie stets auch als Konsumenten. Sie sollten sich das von ihnen produzierte Auto auch selbst leisten können. Henry Ford war nicht nur der Erfinder der Massenproduktion, sondern auch des Massenkonsums, der Massengesellschaft.

Er war nicht der einzige. Aber er war einer der ersten und er hatte den größten Erfolg. Finanziell. Aber mindestens ebenso erfolgreich wie seine Autos verbreitete er seine Ideen. Der moderne amerikanische Traum ist, darauf einigt man sich sofort, wesentlich ein Produkt Hollywoods, aber er wurde an den Fließbändern Henry Fords zur Realität. Rechts wie links faszinierte Henry Ford. In Fabrikhallen der frühen Sowjetunion sollen Bilder von Ford neben denen Lenins gehangen haben. Man kann sich das schwer vorstellen, aber Lenins Begeisterung für Effizienz lässt einen diese Bilderhängung nicht ausschließen. Henry Ford war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Weltweit. Geschichten über ihn wurden sicher nicht nur von anderen erfunden. Seine eigene Werbeabteilung war auch sehr kreativ.

Belegt scheint allerdings diese Geschichte. Die Massenproduktion von Autos erforderte eine Massenproduktion von Straßen und die Verbreiterung der bereits bestehenden Straßen. Henry Fords Geburtshaus musste einer solchen Maßnahme weichen. Ford trug das Haus ab und baute es zweihundert Meter entfernt von der neuen, verbreiterten Straße wieder auf. Er wollte das Haus einrichten, wie es gewesen war, als er als Kind darin gewohnt hatte. Bald hatte er mehr Mobiliar, als in diesem Haus unterzubringen war. Er widmete eine eingestellte Fabrik um in ein Museum, für das Exemplare aller jemals in den USA produzierten Haushaltsartikel aufgekauft wurden. Massengesellschaft auch hier.

2001 veröffentlichte der Historiker Neil Baldwin „Henry Ford and the Jews – The Mass Production of Hate“. Ford war einer der erfolgreichsten Antisemiten des 20. Jahrhunderts. Seine 1920 erstmals erschienene Artikelserie „Der internationale Jude – ein Weltproblem“ erschien schon 1921 auch auf Deutsch und bald darauf in nahezu allen europäischen Sprachen. Juden sind überall eine Minderheit, sie werden verfolgt, und sie beherrschen ihre Verfolger. Dank ihrer Infamie. Die Artikelserie wurde als Buch in Millionenauflage weltweit verkauft. Nicht nur in Buchhandlungen und an Zeitungsständen. Sondern auch überall, wo sein Auto verkauft wurde. In den Nürnberger Prozessen erklärte Baldur von Schirach, er sei nicht durch Adolf Hitler, sondern zuvor schon durch Henry Ford zum Antisemiten geworden. Man kann sich vorstellen, mit welcher Lust das der ehemalige Reichsjugendführer dem amerikanischen Chefankläger unter die Nase rieb.

Als 1922 das Gerücht aufkam, Ford finanziere den noch nahezu völlig unbekannten Adolf Hitler, fuhr der Vizepräsident des bayerischen Landtags Erich Auer nach Berlin zum Reichspräsidenten Ebert. Es ging doch nicht an, dass Ford sich in die Angelegenheiten Deutschlands einmische. Als Auer den Reichstag betrat, hielt ihn der Korrespondent der „Chicago Tribune“ an, um ihn nach der Situation in Bayern zu befragen.

Auer erklärte dem Zeitungsmann, Henry Ford finanziere das revolutionäre Programm des radikalen Österreichers namens Adolf Hitler, weil ihn dessen Programm „der Ausrottung der deutschen Juden“ beeindrucke. So soll es in der „New York Times“ vom 8. Februar 1923 gestanden haben. Ich habe das nicht überprüft, sondern zitiere es aus „The American Axis – Henry Ford, Charles Lindbergh, and the Rise of the Third Reich“ von Max Wallace.

Nach dem Ersten Weltkrieg mischten sich fast überall auf der Welt mehr Menschen in die Politik als davor. Eine Chance auf Demokratisierung? Sicher. Aber immer wieder führte die Massengesellschaft zu dem, was Gramsci verschämt „morbide Phänomene“ und was Neil Baldwin die „Massenproduktion von Hass“ nannte. Die jüngsten Erfahrungen lehren uns, dass auch die Massenkommunikation exakt das produziert.

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